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DSGVO trifft Pressefreiheit: Gericht erlaubt Openjur die Veröffentlichung nicht anonymisierter Gerichtsentscheidungen

Ein Hamburger Gerichtsurteil sorgt für Klarheit im Spannungsfeld zwischen Datenschutz und Pressefreiheit: Die Plattform Openjur durfte eine nicht anonymisierte gerichtliche Entscheidung online stellen – trotz sensibler Angaben über einen betroffenen Anwalt. Für Bürgerinnen und Bürger aus Rheinstetten ist dieses Urteil besonders interessant, da es zeigt, wie Gerichtsentscheidungen im Internet rechtlich verarbeitet werden dürfen – und wann der Schutz personenbezogener Daten Grenzen hat.

1. Hintergrund: Veröffentlichung eines nicht anonymisierten Beschlusses
Ein Anwalt aus dem Nordosten Deutschlands wurde unvermittelt mit seiner finanziellen Lage und beruflichen Vergangenheit öffentlich konfrontiert. Der Grund: Eine automatisiert von Openjur übernommene Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin, in der der vollständige Name des Anwalts mitsamt sensibler Informationen auftauchte – darunter Arbeitslosigkeit und Schulden beim Versorgungswerk der Rechtsanwälte. Die Senatsverwaltung des Landes Berlin hatte den Beschluss ursprünglich veröffentlicht, jedoch nicht anonymisiert. Die juristische Plattform Openjur übernahm diesen ungekürzt, wodurch der Name ein Jahr lang über Suchmaschinen wie Google auffindbar war.

2. Reaktion des Anwalts und Klage
Erst rund zwölf Monate später wurde der Anwalt auf die Veröffentlichung aufmerksam. Er forderte die sofortige Löschung des Beschlusses sowie Auskunft zur Datenverarbeitung und machte einen Schadensersatz in Höhe von 5.500 Euro geltend. Nachdem Openjur umgehend reagierte, den Namen entfernte und die Datenverarbeitung offenlegte, ließ der Anwalt dennoch rechtlich prüfen, ob ein datenschutzrechtlicher Verstoß vorlag.

3. Gerichtliche Entscheidung: Pressefreiheit vor Datenschutz
Das Landgericht Hamburg entschied am 9. Mai 2025 (Az. 324 O 278/23) zugunsten von Openjur. Die Richter erkannten in der Tätigkeit der Plattform eine journalistische, redaktionell geprägte Arbeit. Openjur bereite Entscheidungen auf, verfasse Zusammenfassungen oder Leitsätze und treffe eine redaktionelle Auswahl – das sei dem klassischen Journalismus vergleichbar.

Daher gelte für diese Tätigkeit eine zentrale Ausnahme im Datenschutzrecht: Nach Artikel 85 Absatz 2 der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) dürfen bestimmte Datenschutzpflichten eingeschränkt werden, wenn sie die Meinungs- und Informationsfreiheit einschränken würden. Diese Ausnahmeregelung ist in Deutschland gesetzlich verankert und findet bei journalistischer Tätigkeit Anwendung.

4. Warum kein Schadensersatzanspruch besteht
Zwar sah das Gericht durchaus eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch die Veröffentlichung der privaten und beruflichen Details. Dieses Interesse müsse jedoch gegenüber dem öffentlichen Interesse an der freien Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen abgewogen werden. Die Entscheidung basierte auf einer sogenannten „privilegierten Quelle“ – der amtlichen Veröffentlichung durch die Berliner Justizverwaltung. Plattformen wie Openjur dürfen auf die Rechtmäßigkeit solcher Quellen vertrauen, ohne jede Information individuell rechtlich bewerten zu müssen. Erst nach einem konkreten Hinweis, wie im vorliegenden Fall, sei eine Prüfung notwendig. Openjur habe nach Kenntnisnahme sofort und angemessen reagiert. Auch der Verweis auf Artikel 82 DSGVO, der Schadensersatz regelt, half dem Anwalt nicht weiter, da diese Vorschrift in Situationen mit journalistischem Schutz nicht greift.

5. Was das Urteil für die Allgemeinheit bedeutet
Für Verbraucherinnen und Verbraucher – auch hier in Rheinstetten – ist dieses Urteil von besonderer Bedeutung. Es stellt klar: Die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen im Internet ist weiterhin möglich, selbst wenn möglicherweise sensible Daten betroffen sind. Zwar müssen Behörden bei der Erstveröffentlichung sorgfältig anonymisieren – doch Plattformen wie Openjur dürfen sich auf amtliche Quellen verlassen. Die Pressefreiheit als Grundrecht wiegt in solchen Fällen besonders schwer.

Zugleich zeigt der Fall, wie wichtig es ist, wachsam mit eigenen Daten im Netz umzugehen und schnell zu reagieren, wenn falsche oder sensible Informationen online erscheinen. Wer betroffen ist, sollte sich rechtlich beraten lassen, um mögliche Ansprüche zu prüfen und gegebenenfalls durchzusetzen.

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